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DekonstruktionSystemtheorie / Radikaler Konstruktivismus

Zeichen (D)

Im geläufigen Sinn ist das Zeichen "etwas, das für etwas anderes steht" (aliquid stat pro aliquo). Das Zeichen ist Repräsentation als Stellvertretung, d.h. es steht für etwas anderes, das selbst nicht anwesend ist (eine Vorstellung oder einen Referenten) und das als mit sich selbst identische, vorsprachliche Entität gedacht wird. In diesem Sinne ist das Zeichen in der kritischen Lesart Derridas zugleich aufgeschobene und verschobene Gegenwart (présence différée).

Der Poststrukturalismus begreift im Anschluss an Saussure das (sprachliche) Zeichen als Einheit der beiden konstitutiven Komponenten Signifikant (das Bezeichnende bzw. das Lautbild) und Signifikat (das Bezeichnete bzw. die mentale Vorstellung oder der Begriff), während der Bezug auf einen außersprachlichen Referenten ausgeklammert bleibt. Die beiden korrelativen Eigenschaften des Zeichens sind seine Arbitrarität und seine Differentialität. Die Verbindung zwischen Signifikant und Signifikat ist arbiträr, d.h. rein konventioneller Art und durch keinerlei natürliche Beziehungen motiviert, während umgekehrt das Zeichen nicht als solches, sondern allein aufgrund seiner differentiellen Beziehung zu anderen Zeichen, d.h. als Teil eines Systems, einen Wert besitzt. In diesem Sinn ist das sprachliche Zeichen weniger Repräsentation als Artikulation. Das Zeichen geht nicht von einer vorgegebenen Präsenz aus, sondern wird durch Differenzen bestimmt, die die Einheit und die Identität von Signifikant und Signifikat nachträglich als ihren Effekt produzieren (Weber).

Die verschiedenen poststrukturalistischen Ansätze definieren sich vor allem über ihre Kritik und Reformulierung der Relation von Signifikant und Signifikat. Während Lacan die enge assoziative Verbindung zwischen Signifikant und Signifikat bei Saussure zerbricht, den Signifikanten gegenüber dem Signifikat privilegiert und das Gleiten der Signifikantenkette herausstellt, argumentiert Derrida, dass Saussure trotz seines kritischen Ansatzes letztlich dem Phonozentrismus, d.h. der Privilegierung der Selbstpräsenz des Sprechers in der Stimme gegenüber der Schrift, verhaftet bleibt und die Möglichkeit zulässt, ein transzendentales Signifikat, das selbst nicht mehr die Funktion eines Signifikanten hat, zu denken.

--> Im dekonstruktiven Feminismus verläuft die Interpretation und die Lektüre des Körpers und der Geschlechtsidentität entlang deren zeichenhafter, sprachlicher Verfasstheit, oder, wie es Barbara Vinken nahezu programmatisch formuliert: "Nicht Biologie, sondern die Zeichen sind der Stoff, aus dem die Körper sind, und wie alle Zeichen werden sie zu Zeichen aus der Differenz, die sie zum Anlass haben, markieren und interpretieren." (Vinken)

© Gerald Posselt & Anna Babka (Stand: 6.10.03)

Siehe auch: Sprache (D); Struktur (D); Différance (D); Repräsentation (D)

Literaturhinweise
•  Derrida, Jacques (1976): "Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaft vom Menschen [kommentiert (D)]".
•  Derrida, Jacques (1988): "Die différance [kommentiert (D)]".
•  Derrida, Jacques (1988): "Signatur Ereignis Kontext [kommentiert (D)]".
•  Vinken, Barbara (1993): "Der Stoff, aus dem die Körper sind".
•  Weber, Samuel (2000): Rückkehr zu Freud: Jacques Lacans Ent-stellung der Psychoanalyse.

Bibliografie zum Glossareintrag

Zeichen (ST/RK)

Die Bestimmungen des Zeichenbegriffs im Rahmen des Radikalen Konstruktivismus variieren. Die biologischen Grundlagen von Maturana und Varela legen es nahe, jede Form von sozialem Verhalten als kommunikativ zu konzipieren und zeichenhaftes Verhalten auf alle rekursiven Formen von Verhaltenskoordinationen auszudehnen. Diese Bestimmung trifft sich mit der systemtheoretischen Semiotik von Danesi und Sebeok, die Zeichen als "kognitive Modelle von Erfahrungen" interpretieren und damit den Zeichenbegriff auf nicht-reflexive Zeichen wie etwa Signale und Symptome ausweiten.

Konsensuell scheint zu sein, dass vorreflexive Kommunikationen von sprachlich-reflexiven Zeichen unterschieden werden müssen. So sind Signale situationsabhängig und direkt an ein reaktives Verhalten gekoppelt. Sie weisen weder eine Syntax auf, noch können sie verneint werden. V. Glasersfeld weist deshalb darauf hin, dass Signale Verhaltensinstruktionen entsprechen und keine sprachlichen Zeichen bzw. Symbole sind. Die Unterscheidung von Signal und Symbol verdeutlicht weiters die Differenzen zwischen technischen Kommunikationsbegriffen, wie sie Sender-Empfänger-Modellen zugrunde liegen, und natürlichen Sprachen.

Radikalkonstruktivistische TheoretikerInnen wie Köck betonen hier immer wieder, dass das Modell der Signalübertragung, das Shannon und Weaver im Rahmen der Automatentheorie entwickelt haben, nicht auf menschliche Kommunikation anwendbar ist. Die Zeichen natürlicher Sprachen werden nicht mit technischen Codes entschlüsselt, sondern verwirklichen die Koordination operational geschlossener kognitiver Systeme.

Luhmann konzentriert sich in seiner Soziologie auf die Reflexivität der Kommunikation und fokussiert sprachliche Zeichen bzw. Symbole. Er definiert Zeichen als Form der Unterscheidung von Signifikant und Signifikat. Sprachliche Zeichen leisten als evolutionäre Errungenschaft wesentlich die Freisetzung kognitiver und sozialer Kommunikationsräume, da sie unabhängig von spezifischen Situationen zur Reduktion von Umwelt- und Systemkomplexitäten eingesetzt werden können.

--> TheoretikerInnen wie Landweer und List betonen die vorsymbolischen und dennoch sinnhaften Dimensionen geschlechtlicher Interaktionen. So erscheinen Körper in der Wahrnehmung etwa als sinnhafte Formen bzw. als "Anzeichen" (Landweer), bevor sie diskursiv verhandelt werden. Krüll weist entsprechend auf die Wichtigkeit vorsprachlicher Interaktionen in der menschlichen Entwicklung hin. So werden bereits auf der Signalebene Muster körperlicher Selbstwahrnehmung entwickelt.

Diese Argumentationen sind an die radikalkonstruktivistische Diskussion des Zeichenbegriffs, welche semiotische Prozesse in die ontogenetische und phylogenetische Entwicklung einbettet und damit eine genetische Sichtweise symbolischer Prozesse anbietet, anschließbar. Erst mit der Reflexivität sprachlicher Zeichen ist die situationsunabhängige Kontextualisierung von Erfahrungen möglich und damit die Unterscheidung der Geschlechter als symbolische Operation. Das Gros der aktuellen Genderforschung fokussiert in diesem Sinn die sprachliche Unterscheidung sprachlicher Unterscheidung bzw. die Reflexion symbolischer Ordnungen.

© Sibylle Moser & proddiff (Stand: 10.9.2003)

Siehe auch: Kommunikation (ST/RK); Sprache (ST/RK)

Literaturhinweise
•  Danesi, Mario / Sebeok, Thomas (2000): The Forms of Meaning: Modeling Systems Theory and Semiotics.
•  Glasersfeld, Ernst von (1997): Radikaler Konstruktivismus: Ideen, Ergebnisse, Probleme [kommentiert (RK)].
•  Köck, Wolfram K. (1987): "Kognition-Semantik-Kommunikation [kommentiert (RK)]".
•  Krüll, Marianne (1990): "Das rekursive Denken im radikalen Konstruktivismus und im Feminismus [kommentiert (RK)]".
•  Landweer, Hilge (1994): "Generativität und Geschlecht. Ein blinder Fleck in der sex/gender-Debatte".
•  List, Elisabeth (1997): "Das lebendige Selbst. Leiblichkeit, Subjektivität und Geschlecht [kommentiert (RK)]".
•  Schmidt, Siegfried J. (1994): Kognitive Autonomie und soziale Orientierung. Konstruktivistische Bemerkungen zum Zusammenhang von Kognition, Kommunikation, Medien und Kultur.

Bibliografie zum Glossareintrag




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