| Schema (RK)Der Schemabegriff spielt besonders im Radikalen Konstruktivismus von E. v. Glasersfelds, der ihn in Anlehnung an Jean Piagets genetische Epistemologie entwickelt, eine prominenten Rolle. Er konkretisiert den Konstruktionsprozess im Rahmen der sensumotorischen Rückkopplung zwischen Organismus und Umwelt, indem er verdeutlicht, dass stabile Wirklichkeiten aus der Wiederholung funktionierender Verhaltensweisen resultieren.
In Abgrenzung vom Informationsverarbeitungsansatz in der orthodoxen bzw. kognitivistischen Kognitionswissenschaft betont die konstruktivistische Interpretation des Schemabegriffs dessen prozeduralen Charakter. Schemata sind nicht gespeicherte Wissensbestände, sondern Wahrscheinlichkeiten, mit denen spezifische Unterscheidungen prozessiert werden. Ein Handlungsschema umfasst 1) die Wahrnehmung einer Situation, 2) die Assoziation einer Aktivität mit dieser Situation und 3) die Erwartung, dass diese Aktivität zu einem bestimmten Ergebnis führt.
Die Wahrnehmung der Situation wird als Assimilation interpretiert. Die Situation erscheint bekannt und kann in eine bereits vorhandene sensumotorische oder begriffliche Struktur eingepasst werden. Assimilation besteht demnach im Wiedererkennen relevanter Eigenschaften einer Erfahrung, d.h. im Vergleich von Eigenschaften. Kognitive Assimilation wird als Differenzbildung in einem operational geschlossenen System konzipiert.
Schemata sind generativ, sie stellen strukturelle Muster zur Generierung einer Aktivität dar. Schemata stellen im Sinne der Kybernetik 2. Ordnung stabile Invarianten bzw. Eigenwerte dar, die im Rahmen historischer Lernprozesse entwickelt werden und einer steten Transformation unterliegen. Sie dienen zur Erhaltung spezifischer der Konstanthaltung von Relationen. Wenn wahrgenomme Eigenschaften einer Situation nicht an ein vorhandenes Schema assimiliert werden können, verändert sich dieses und wird zu einem neuem Schema akkomodiert.
--> Geschlechtsschemata sind Selektionsmechanismen der Wahrnehmung und der Kommunikation. Unterscheidungen werden im Rahmen des Geschlechtsschemas geschlechtstypisch prozessiert. Geschlechtsschemata ermöglichen Selbst-Konzepte und verkörpern diese gleichzeitig. Sie sind einerseits die Unterscheidungsprozesse selbst, andererseits deren Resultat. Das Geschlechtsschema stellt das Wissen von Personen dar, wie sie sich in geschlechtsspezifisch codierten Umwelten erfolgreich verhalten können. Es verwirklicht Handlungsmöglichkeiten in Bezug auf Körper und Leib (Sex) ebenso wie in Bezug auf die mit diesen Formen verbundenen kulturellen Unterscheidungsraster (Gender).
VertreterInnen der Gender Schema Theory arbeiten vorwiegend im Paradigma des Informationsverarbeitungsansatzes, das die nordamerikanische Kognitionspsychologie dominiert; eine radikalkonstruktivistische Interpretation der Theorie der Geschlechtsschemata steht noch weitgehend aus.
© Sibylle Moser & proddiff (Stand: 10.9.2003)
Siehe auch: Rekursion (RK); Kognition (ST/RK); Wahrnehmung (ST/RK)
Literaturhinweise Bem, Sandra Lipsitz (1981): "Gender Schema Theory: A Cognitive Account of Sex Typing". Dürr, Renate (2001): "Sex und Gender als Interpretationskonstrukte [kommentiert (RK)]". Glasersfeld, Ernst von (1994): "Piagets konstruktivistisches Modell: Wissen und Lernen". Glasersfeld, Ernst von (2000): "Die Schematheorie als Schlüssel zum Paradoxon des Lernens [kommentiert (RK)]". List, Elisabeth (1997): "Das lebendige Selbst. Leiblichkeit, Subjektivität und Geschlecht [kommentiert (RK)]".
Bibliografie zum Glossareintrag
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