Iterabilität (D)Der Terminus Iterabilität (lat. iter "von neuem", abgeleitet von Sanskrit itara "anders") geht auf Derridas Schriftbegriff und auf seine Auseinandersetzung mit Austins Sprechakttheorie zurück. Derrida argumentiert, dass jedes sprachliche, geschriebene oder gesprochene Element oder Zeichen reiterierbar, d.h. wiederholbar und zitierbar, sein muss. Dabei erschöpft sich die Iterabilität des Zeichens nicht in der Reproduktion oder der einfachen Wiederholung; vielmehr verbindet er den Begriff der Wiederholung mit der Andersheit. Dies impliziert zugleich die Kraft des Zeichens, mit seinem Kontext zu brechen, da man aufgrund seiner Iterabilität ein schriftliches Syntagma immer aus einer Verkettung herausnehmen und in andere Ketten einschreiben oder diesen aufpfropfen kann. Dies gilt auch für singuläre und ereignishafte (performative) Äußerungen. Während Austin zitathafte Äußerungen als unernsten und parasitären Sprachgebrauch abqualifiziert, argumentiert Derrida, dass keine performative Äußerung gelingen könnte, "wenn ihre Formulierung nicht eine 'codierte' oder iterierbare Äußerung wiederholte, mit anderen Worten, wenn die Formel die ich ausspreche, um eine Sitzung zu eröffnen, ein Schiff oder eine Ehe vom Stapel laufen zu lassen, nicht als einem iterierbaren Muster konform, wenn sie also nicht in gewisser Weise als 'Zitat' identifizierbar wäre".
--> Butler übernimmt von Derrida die Begriffe der Zitathaftigkeit und Iterabilität für ihre Konzeption des Performativen und entwickelt sie im Hinblick auf eine Theorie des Handlungsvermögens weiter. Die performative Macht der Sprache ist nicht in der Intentionalität oder Willenskraft eines Individuums begründet; vielmehr ist sie der Effekt der historisch sedimentierten Bedeutungen und Konventionen, die in jedem Sprechakt angerufen, zitiert und wiederholt werden. Dies ist kein einmaliger Prozess, sondern ein zeitlicher Vorgang, eine reiterative und zitathafte Praxis, die für Umdeutungen und Resignifikationen offen ist. Die Handlungsfähigkeit des Subjekts lokalisiert Butler in den Möglichkeiten der Resignifikation, die durch den Diskurs eröffnet werden.
© Gerald Posselt (Stand 6.10.03)
Siehe auch: Performativität (D); Zeichen (D); Sprache (D); Schrift (D); Kontext (D); Kommunikation (D)
Literaturhinweise Butler, Judith (1993): Bodies that Matter. On the Discursive Limits of "Sex" [kommentiert (D)]. Butler, Judith (1997): Excitable Speech. A Politics of the Performative [kommentiert (D)]. Derrida, Jacques (1988): "Signatur Ereignis Kontext [kommentiert (D)]".
Bibliografie zum Glossareintrag
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| Rekursion (RK)Rekursive Operationen bestehen in der wiederholten Anwendung einer Operation auf eine Variable. Sie werden solange fortgesetzt, bis sich das Ergebnis bzw. der Wert der Variable nicht mehr ändert und in einem stabilen "Eigenwert" kulminiert. Bekanntes Beispiel hierfür ist das Wurzelziehen, bei dem der Wert sich auf die Eins einpendelt. Die Idee der Eigenwertbildung korrespondiert mit dem Begriff des seltsamen Attraktors in der Chaosforschung und liegt Theorien der Selbstorganisation zugrunde.
Heinz v. Foerster definiert Eigenwerte als "ontologisch diskret, stabil, voneinander trennbar und miteinander verknüpfbar […], während sie ontogenetisch als Gleichgewichtszustände entstehen, die sich in zirkulären Prozessen selbst bestimmen." In operational geschlossenen dynamischen Systemen entspricht der Eigenwert einem temporären Gleichgewicht. Krohn und Küppers betonen, dass Eigenwerte wesentlich von den Randbedingungen eines Systems abhängen und dessen Grenze zur Umwelt definieren.
Im Diskurs des Radikalen Konstruktivismus fungiert das Modell rekursiver Eigenwerte allgemein als Modell für Strukturbildungen wie etwa der Bildung kognitiver und sozialer Schemata. Eine interessante Anwendung rekursiver Operationen stellt die Methode der seriellen Reproduktion dar, die Ordnungsbildungen durch die wiederholte Anwendung von Gedächtnisleistungen auf denselben Gegenstand eruiert.
--> Die Geschlechterdifferenz entsteht wie jede kommunikative Struktur durch die wiederholte bzw. rekursive Anwendung von Erwartungserwartungen auf Wahrnehmungen und Kommunikationen: "Geschlechtsstereotype Erwartungen rufen geschlechtsstereotypes Verhalten hervor und umgekehrt." (Pasero) Die stete Wiederholung führt zu Bildung (temporär) stabiler Formen bzw. Semantiken.
© Sibylle Moser & proddiff (Stand: 10.9.2003)
Siehe auch: Kopplung, strukturelle (ST/RK); Selbst-/Fremdreferenz (ST)
Literaturhinweise Foerster, Heinz von (1994): "Gegenstände: greifbare Symbole für (Eigen-)Verhalten". Krüll, Marianne (1990): "Das rekursive Denken im radikalen Konstruktivismus und im Feminismus [kommentiert (RK)]". Krohn, Wolfgang / Küppers, Günter (1989): Die Selbstorganisation der Wissenschaft. Pasero, Ursula (1999): "Wahrnehmung – ein Forschungsprogramm für die Gender Studies [kommentiert (ST)]". West, Candance / Zimmermann, Don H. (1987): "Doing Gender".
Bibliografie zum Glossareintrag
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