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Systemtheorie/
Radikaler Konstruktivismus

> Einführung: Geschlecht als Konstruktion
 
:: Einleitung: Bibliografie Radikaler Konstruktivismus
 
> Einleitung: Bibliografie Systemtheorie
 


RADIKALER KONSTRUKTIVISMUS

Eine kommentierte Bibliografie mit ersten Anschlussstellen für die Genderforschung

NATASCHA GRUBER, Wien

Textlage und Auswahlkriterien

Für die Textauswahl der kommentierten Bibliografie zum Radikalen Konstruktivismus war maßgebend, Standardtexte des Diskurses zu wählen, die einem der drei Themenbereiche Subjekt (Kognition, Wahrnehmung, Bewusstsein), Sprache (Kommunikation, Repräsentation) oder Sozialität (soziale Systeme, Mediensysteme), die auch das komparative Glossar strukturieren, zugeordnet werden können. Diese Begriffe markieren Problemfelder sowohl im Radikalen Konstruktivismus als auch in den beiden anderen Theorien, die im Rahmen des Projekts "Produktive Differenzen" untersucht werden, nämlich der soziologischen Systemtheorie und der Dekonstruktion. Anhand der Theoretisierung oder auch Ablehnung dieser Leitbegriffe in den jeweiligen Diskursen kann eine Vergleichbarkeit hergestellt, können Gemeinsamkeiten bzw. Differenzen sichtbar gemacht werden.

Für die Textlage ist allgemein signifikant, dass der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus vorwiegend in Zeitschriftenartikeln und Buchbeiträgen dokumentiert ist, lehrbuchartigen Monografien kommt ein vergleichsweise geringer Stellenwert zu. So ist im deutschsprachigen Raum eines der wichtigsten Foren das Jahrbuch DELFIN, das jeweils einem Themenschwerpunkt in der Konstruktivismusdiskussion gewidmet ist. Angesichts dieser Textlage wurden vorwiegend Artikelbeiträge ausgewählt und kommentiert. Dabei wurde versucht, den verschiedenen Diskurslinien des Radikalen Konstruktivismus, der kein in sich geschlossenes, homogenes Theoriegebäude darstellt, sowohl entwicklungsgeschichtlich als auch themenspezifisch Rechnung zu tragen und einen repräsentativen Querschnitt vorzustellen. Die Texte stammen überwiegend von prominenten Vertretern des konstruktivistischen Diskurses, Vertreterinnen können in diesem Zusammenhang leider keine genannt werden.

Hinsichtlich der Frage nach den Anschlussstellen zur Genderforschung bleibt festzuhalten, dass der Radikale Konstruktivismus die Geschlechterproblematik kaum thematisiert. Auch für die verschiedenen Diskurslinien der gegenwärtigen Debatten rund um den Radikalen Konstruktivismus gilt, dass, obwohl sozialwissenschaftliche und medienwissenschaftliche Themen integriert werden, die Frage nach dem Geschlecht bzw. der Geschlechterdifferenz kein zentrales Thema oder Forschungsanliegen ist. Seit den 80er Jahren versuchen feministische Theoretikerinnen jedoch, die wissenschafts- und erkenntniskritischen Potenziale des Radikalen Konstruktivismus für die Geschlechterforschung fruchtbar zu machen. Rund ein Drittel der Bibliografie dokumentiert die Vermittlungsleistung dieser Wissenschafterinnen.

Textspektrum - Diskurslinien

Ein Teil der Texte berücksichtigt den theoriegeschichtlichen Hintergrund und führt einleitend in die epistemologischen Kernthesen des Radikalen Konstruktivismus ein. In der ersten Phase des Radikalen Konstruktivismus in den 60er und 70er Jahren erfolgte die Ausarbeitung grundlegender Theoreme. Die Texte des Kybernetikers Heinz v. Foerster oder die sprach- und entwicklungspsychologischen Beiträge von Ernst v. Glasersfeld bieten dazu eine einführende Orientierung. Humberto R. Maturanas Texte dokumentieren den Versuch, eine Theorie des Lebendigen zu entwickeln, welche die Phänomene Kognition und Sozialität auf bioepistemologischer Ebene erklärt. Die gewählten Aufsätze stellen die zentralen Konzepte der Autopoiesis, der Selbstreferenzialität und der Selbstorganisation vor - Begriffe, die später auch in geistes- und sozialwissenschaftliche Disziplinen übernommen wurden.

Der aktuelle Konstruktivismus - gelegentlich begegnet man der Bezeichnung "Konstruktivismus der zweiten Generation" - ist in verschiedene Diskurslinien aufgefächert und spielt in kultur- und sozialwissenschaftlichen Debatten im deutschsprachigen Raum eine wichtige Rolle. Zur Linie der empirischen Kognitionsforschung gehören die neurobiologischen Arbeiten von Gerhard Roth. Die Verbindung von sozialem Konstruktivismus und systemtheoretischen Argumenten zeigen die Texte von Peter M. Hejl, die in die soziologische Systemtheorie führen und von Lutz Ohlendieck bearbeitet wurden. Hier sind die Arbeiten von Niklas Luhmann zu nennen, der Maturanas bioepistemologische Terminologie für den Kontext soziologischer Theoriebildung adaptierte und zu einer Theorie sozialer Systeme ausarbeitete. Eine weitere wichtige Diskurslinie, im deutschsprachigen Raum durch Siegfried J. Schmidt, Gebhard Rusch u.a. vertreten, ist die Linie der konstruktivistischen Medien- und Literaturtheorie, welche den Ansatz des Radikalen Konstruktivismus in kommunikationswissenschaftliche Richtung weiterentwickelt.

Anschlussstellen für die Genderforschung

Seit den späten 80er Jahren gibt es von feministischen Wissenschafterinnen vereinzelt Bemühungen, die kognitionstheoretischen Potenziale des Radikalen Konstruktivismus für die feministische Theorie und die Genderforschung fruchtbar zu machen. Der Rückgriff auf radikalkonstruktivistische Konzepte wie die Beobachtung zweiter Ordnung oder die selbstreferenzielle Beschreibung von Prozessen der Wirklichkeitskonstruktion scheint für feministische Anliegen besonders attraktiv zu sein, da mit ihnen der Aspekt der dynamischen Veränderung und Veränderbarkeit von sozialen Regelsystemen theoretisch beschreibbar wird. An den Konstruktionsbegriffen feministischer Debatten wurde schon des öfteren moniert, dass diesen die theoretische Grundlegung bzw. Fundierung fehle. Der Konstruktionsbegriff des Radikalen Konstruktivismus ist nicht deckungsgleich mit dem der aktuellen Genderforschung und könnte einen theoretischen Begriffsrahmen bereitstellen. Den Versuch eines epistemologischen Brückenschlags zwischen Konstruktivismus und feministischer Theorie dokumentieren die Texte von Marianne Krüll, Renate Dürr oder Sibylle Moser.

Eine weitere Anschlussstelle zum Radikalen Konstruktivismus bietet die gegenwärtig in der Genderforschung intensiv geführte Debatte um Materie versus Diskurs, die ausgelöst wurde, als Judith Butler in ihrem Text Gender Trouble die Unterscheidung von Sex und Gender radikal in Frage stellte und Biologie und Körper des Geschlechts als Effekte von performativen Sprechakten im Diskursiven verortete. Butlers Lesart regt viele feministische Theoretikerinnen an, die Begriffe von Materie und Körper neu zu denken und Konzepte des Prädiskursiven vorzulegen, ohne in neue Essenzialismen oder Biologismen zurückzufallen. Die Texte von Elisabeth List, Renate Dürr oder Sabine Bürscher vermitteln phänomenologische, kognitionstheoretische und psychoanalytische Theoriestränge und dokumentieren das Anliegen, unter Rückgriff auf Ideen aus dem Umkreis des Radikalen Konstruktivismus die gegenwärtige Debatte um Materie versus Diskurs argumentativ zu erweitern.




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