| Beobachtung (ST/RK)Beobachtungen sind selektive Systemoperationen, die gleichzeitig eine Unterscheidung und eine Kennzeichnung vollziehen. Beobachtungen werden von beobachtenden Systemen ausgeführt. Im Radikalen Konstruktivismus erscheint "der Beobachter" (Maturana) als kognitives System mit spezifischen Distinktionsvermögen, in Luhmanns Soziologie fungiert jedes unterscheidende System als Beobachtungsinstanz. Beobachtung ist eine Form mit zwei Seiten: Jede Beobachtung basiert auf Asymmetrie, da die Kennzeichnung eine Seite der Unterscheidung markiert und die andere unmarkiert lässt.
Jede Beobachtung erster Ordnung schafft die Unterscheidung zwischen Bezeichnung und Welt und ermöglicht damit die eindeutige Identifikation von Gegenständen. Da die Beobachtung im Augenblick ihres Vollzugs nicht unterschieden werden kann, basiert jede Wirklichkeitskonstruktion auf einem blinden Fleck. Das beobachtende System ist sich selbst intransparent, es kann sich beim Beobachten nicht beobachten. Die Beobachtung der Einheit von Unterscheidung/Kennzeichnung erfordert eine Unterscheidung, die ihrerseits ununterschieden bleibt. Die Kennzeichnung einer Unterscheidung als Gegenstand (Beobachtungen 2. Ordnung) führt deshalb zur Entwicklung von Paradoxien. Da jede Beobachtung Zeit braucht, besteht die Einheit der Wirklichkeit im Prozessieren von Differenzen.
--> Die Geschlechterdifferenz stellt eine asymmetrisierende Unterscheidung beobachtender Systeme dar. Geschlechterdifferenzen werden in Hinblick auf Unter-scheidungen des Körpers, der Psyche und der sozialen Struktur gekennzeichnet. Die Kennzeichnung der Geschlechterdifferenz ist historisch kontingent und basiert auf den blinden Flecken bzw. den kulturellen Unterscheidungsprogrammen der jeweiligen BeobachterInnen. Im Rahmen der feministischen Theorie wird die Unterscheidung der Geschlechter explizit bzw. selbstreferenziell beobachtet. Diese Selbstreferenz wird im Rahmen der aktuellen Geschlechterforschung zunehmend reflexiv. Beobachtet wird nun die Unterscheidung der Unterscheidung der Geschlechterdifferenz. Dies führt zu Paradoxien, wie etwa der Frage nach dem Gegenstand bzw. der Einheit feministischer Theorie angesichts der vielfältigen Differenzen zwischen Frauen.
© Sibylle Moser & proddiff (Stand: 10.9.2003)
Siehe auch: Selbst-/Fremdreferenz (ST)
Literaturhinweise Baecker, Dirk (1993): "Im Tunnel". Esposito, Elena (1991): "Paradoxien als Unterscheidungen von Unterscheidungen". Luhmann, Niklas (1988): "Frauen, Männer und George Spencer Brown [kommentiert (ST)]". Luhmann, Niklas (1990): Die Wissenschaft der Gesellschaft [kommentiert (ST)]. Pasero, Ursula (1994): "Geschlechterforschung revisited: konstruktivistische und systemtheoretische Perspektiven [kommentiert (ST)]". Scott, Joan W. (1995): "Verstörende Spektakel des Paradoxen".
Bibliografie zum Glossareintrag
Externe Links Jokisch, Rodrigo (2001), "Wie ist Geschlecht möglich?" (Online-Artikel)
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