Macht (D)Die einflussreichste zeitgenössische Theoretisierung von Macht stammt von Michel Foucault. Ähnlich wie die Geschichte (Historie), die Foucault über die Genealogie reformuliert, hat Macht nach Foucault keinen einfachen Ursprung und kein einfaches Ziel, geht also nicht von Individuen oder Gruppen aus, sondern ist konstitutiv für sowohl die Beziehungen zwischen Gruppen als auch zwischen Individuen und Gruppenidentitäten. Macht ist nicht einfach repressiv, sondern immer auch produktiv und gestaltet als eine die Körper durchziehende Biomacht das moderne Individuum. Sie wirkt als 'unsichtbare' Disziplinarmacht nicht in eine einzige Richtung, sondern geht von multiplen, miteinander verknüpften Machtzentren aus, die alle gesellschaftlichen Beziehungen - den Gesellschaftskörper und den Körper des Individuums - kapillar durchdringen, diskursiv konstituieren und zugleich kontrollieren. Die kontrollierende, disziplinierende Macht wirkt normalisierend auf die Individuen ein. Das "Normale" avanciert zum wesentlichen Zwangsprinzip einer Gesellschaft, in der die Herrschaft der Norm über alle Lebensbereiche die äußere Herrschaft des Gesetzes ablöst (Hetzel).
--> Es sind Machttechniken und Selbstpraktiken, die das Subjekt formen. Sexualität, eher ein positives Produkt der Macht (Repressionshypothese), ist nach Foucault ein wesentlicher Faktor der Subjektkonstitution - das 'Sexualitätsdispositiv' eine Machttechnik, die für das Subjekt bestimmend ist. Butler argumentiert mit Foucault, dass es keinen Ort außerhalb der Macht gibt. Subversive Lektürestrategien und Körperpraktiken (wie Drag oder Parodie) sind nur innerhalb genau jener Normen denkbar, die diese zugleich ermöglichen und beschränken. Die reiterative Macht der Konvention produziert und materialisiert Körper, die entweder männlich oder weiblich sind, zugleich werden Körper jenseits dieser Normierung aus der Domäne des sozial und symbolisch Intelligiblen ausgeschlossen. Widerspruch und Handlungsvermögen lokalisiert Butler genau im Moment der Wiederholung und Zitation; hier gilt es, mit Derrida gesprochen, den Interventionshebel anzusetzen.
© Anna Babka (Stand: 6.10.03)
Siehe auch: Diskurs (D); Genealogie (D); Subjekt (D)
Literaturhinweise Butler, Judith (1990): Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity [kommentiert (D)]. Foucault, Michel (1983): Sexualität und Wahrheit I: Der Wille zum Wissen [kommentiert (D)]. Foucault, Michel (1994): Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses [kommentiert (D)]. Hetzel, Andreas (2001): "Michel Foucault: Überwachen und Strafen (1975) - Der Wille zum Wissen (1976)".
Bibliografie zum Glossareintrag
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| Macht (ST/RK)Da der Radikale Konstruktivismus keine Gesellschaftstheorie formuliert, erschöpfen sich seine Aussagen zur Macht in persönlichen Statements einzelner Vertreter. Maturana etwa rekurriert auf seine Erfahrungen unter der Diktatur Pinochets und meint: "Es ist der Gehorchende, der dem Befehlenden Macht zugesteht."
Luhmann konzipiert Macht als symbolisch generalisiertes Medium, das die Kommunikation im sozialen System Politik regelt. Symbolisch generalisierte Medien ordnen Beiträge Themen zu und erhöhen damit die Wahrscheinlichkeit ihrer Annahme. Kommunikationen im Medium der Macht sollen die Annahme von Alters Handlungen als Prämisse von Egos Handlungen wahrscheinlich machen. Alters Handeln löst Egos Handeln unter der Androhung von Sanktionen aus; Kommunikationen der Macht stellen Befehle und Befehlsbefolgungen dar.
Die Form der Macht ist die Unterscheidung Gehorsam/Sanktion, wobei die Sanktion als Androhung von physischer Gewalt erscheint. Diese fungiert als symbiotischer Mechanismus, der, wenn er eingesetzt wird, das Scheitern der Macht zum Ausdruck bringt. Baraldi betont, dass Machteffekte nicht von Veränderungen des Körpers sondern, eben von den Folgen für die Kommunikation abhängen. Der Code der Macht ist die Unterscheidung Unterlegene/Überlegene. Er wird mit dem Code des Rechtssystems Recht/Unrecht gekoppelt, da nur dieser die Macht in funktional differenzierten Gesellschaften technisch durchführbar macht. Die Programme der Macht sind Gesetze und Rechtsentscheidungen.
--> Bürscher kritisiert Maturanas Aussagen zum Machtbegriff als voluntaristisch und unrealistisch. Die Anwendung von Luhmanns Machtbegriff auf die Geschlechterdifferenz steht noch weitgehend aus. Die soziologische Systemtheorie wird von kritischen Gesellschaftstheoretikerinnen mit dem Argument kritisiert, dass sie keinen Begriff der "Geschlechterverhältnisse" als Herrschaftsverhältnis haben (Knapp). Sie ignoriere damit die Beschränkung des Machtbegriffs auf das Funktionssystem Politik die Möglichkeit von Gewalt in Intimsystemen.
© Sibylle Moser & proddiff (Stand: 10.9.2003)
Literaturhinweise Bürscher, Sabine (1996): "Die Radikalität der Erkenntnis. Feministische Theorieproduktion und Radikaler Konstruktivismus [kommentiert (RK)]". Knapp, Gudrun-Axeli (1994): "Politik der Unterscheidung". Knapp, Gudrun-Axeli (2001): "Grundlagenkritik und stille Post. Zur Debatte um einen Bedeutungsverlust der Kategorie 'Geschlecht'". Riegas, Volker / Vetter, Christian (1990): "Gespräch mit Humberto R. Maturana [kommentiert (RK)]".
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