Subjekt (D)Der Terminus Subjekt (lat. subiectus: unterhalb liegend; untertan, unterwürfig) konnotiert sowohl bewusste und souveräne Aktivität als auch passive Unterwerfung, was im Englischen und Französischen noch erkennbar ist. Der moderne Begriff des Subjekts als ein vernünftiges, intentionales, selbstbewusstes und rational handelndes Wesen geht letztlich auf Descartes zurück. Die poststrukturalistische Kritik des Subjekts verabschiedet nicht die Kategorie des Subjekts, sondern stellt es als vorgegebene und auf normativen Grundlagen beruhende Prämisse in Frage und interessiert sich statt dessen für die Art und Weise, in der Subjekte durch sprachliche, gesellschaftliche, politische, kulturelle Faktoren und Machtverhältnisse konstituiert und konstruiert werden. Das Subjekt wird nicht mehr als ein autonomes und einheitliches Selbst verstanden, sondern als Konstrukt und Effekt von Ideologie (Lacan, Althusser), von Sprache (Lyotard) oder von Machtverhältnissen (Foucault), die diskursive und disziplinierende, subjektivierende und unterwerfende Praktiken umfassen. Das Subjekt ist nicht Ursprung, sondern Effekt (s)einer symbolisch-diskursiven Praxis, in der es verschiedene Subjektpositionen einnehmen kann.
--> Der Status des (feministischen) Subjekts ist eine der wichtigsten und umstrittensten Fragen feministischer Theoriebildung. Im Unterschied zum traditionellen Feminismus, der seine Wurzeln u.a. im Marxismus und der Kritischen Theorie hat, insistieren poststrukturalistische und dekonstruktivistische TheoretikerInnen wie Butler darauf, dass die Kritik des Subjekts und der Identitätskategorie "Frau" die Frauen ihres Handlungsvermögens keineswegs beraubt. Vielmehr ermöglicht diese Kritik erst, die symbolischen Prozesse und regulativen Mechanismen zu beschreiben, in denen und durch die Individuen zu einheitlichen und selbstbestimmten Subjekten gemacht werden,und zu ermitteln, und auf welche Weise diese Konstruktion funktionieren und fehlschlagen. Das Subjekt ist ein dynamischer Kreuzungspunkt sexueller, geschlechtlicher, klassenabhängiger, ethnischer etc. Identifikationen, die durch Ausschließung und Verwerfung bestimmter Lösungen innerhalb existierender Machtstrukturen konstituiert werden.
© 2003 Gerald Posselt (Stand 6.10.03)
Siehe auch: Alterität (D); Handlungsfähigkeit (D); Identität (D); Interpellation (D); Konstruktion (D); Kommunikation (D)
Literaturhinweise Althusser, Louis (1977): "Ideologie und ideologische Staatsapparate (Anmerkungen für eine Untersuchung) [kommentiert (D)]". Benveniste, Émile (1974): "Über die Subjektivität in der Sprache [kommentiert (D)]". Butler, Judith (1990): Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity [kommentiert (D)]. Butler, Judith (1993): "Kontingente Grundlagen: Der Feminismus und die Frage der Postmoderne [kommentiert (D)]". Lacan, Jacques (1991): "Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion wie sie uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint [kommentiert (D)]". Menke, Bettine (1992): "Verstellt – der Ort der 'Frau' [kommentiert (D)]".
Bibliografie zum Glossareintrag
Externe Links Online Article: "Subjectivity and Gender-Identity in Cyberspace", D. Weber
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| Subjekt (ST/RK)Die Beobachtung der Interdependenz von System/Umwelt führt zur differenztheoretischen Uminterpretation des Subjektbegriffs. Der Fokus auf dynamische Prozesse der Strukturbildung und Transformation weist einerseits auf die Kennzeichnung des epistemischen Subjekts als Aktivität, andererseits auf die Beobachtung unterschiedlicher konkreter Erscheinungsformen dieser Aktivität in empirischen Systemen. Für Piaget besteht diese Aktivität des Subjekts, ebenso wie später für Varela, in einer kontinuierlichen "De-Zentrierung".
V. Glasersfeld unterscheidet zwischen dem Selbst 1) als Erfahrung, dass der eigene Körper agiert ('sensumotorisches Selbst') 2) als Modell von sich selbst, als Ding unter anderen Dingen der sozial erfahrenen Außenwelt. 3) als Bewusstheit ("awareness") davon, was man tut und erlebt; 4) als Spiegelbild: Spaltung von beobachtetem und erkennendem Selbst, welche das epistemologische Subjekt als eine metaphysische Größe ausweist.
Als empirische Größe beziehen sich Subjektvorstellungen auf kognitive und soziale Selbstkonzepte, die in rekursiven Prozessen der Abgleichung von Selbst- und Fremdbeobachtung entstehen. Aus erkenntnistheoretischer Perspektive ist das Subjekt eine paradoxe Größe, da Beobachtung auf Differenz basiert und deshalb nicht als Einheit sich selbst präsent sein kann. Varela, Thompson und Rosch sprechen hier von der 'Bodenlosigkeit' ("groundlessness") der Erkenntnis.
--> Empirische Selbst-Konzepte von Menschen werden in geschlechtsdifferenzierten Umwelten entwickelt. Bem weist darauf hin, dass die Entwicklung des Geschlechtsschemas dem Selbstkonzept vorgeordnet ist, das Selbst ist entsprechend nur als geschlechtliches möglich. Wissensprozesse sind im Rahmen geschlechtlich differenzierter Selbstbeschreibungen und Umweltbeobachtungen situiert. Aus der Differenzsetzung jeder Beobachtung folgt, dass es kein mit sich selbst identes genuin weibliches Erkenntnissubjekt geben kann. Differenziell verfasste Beobachtungsstandpunkte können als konstitutive Voraussetzung für die Lokalisierung (Situierung) von Wissen fungieren.
© Sibylle Moser & proddiff (Stand: 10.9.2003)
Siehe auch: Bewusstsein (ST/RK); Selbst-/Fremdreferenz (ST); Beobachtung (ST/RK); System/Umwelt (ST/RK)
Literaturhinweise Bem, Sandra Lipsitz (1993): The Lenses of Gender. Transforming the Debate on Sexual Inequality. Glasersfeld, Ernst von (1989): "Facts and the Self from a Constructivist Point of View". Haraway, Donna (1988): "Situated Knowledges: The Science Question in Feminism and the Priviledge of Partial Perspective". Piaget, Jean (1971): Structuralism. Trettin, Käthe (1994): "Braucht die feministische Wissenschaft eine »Kategorie«?". Varela, Francisco J. / Thompson, Evan / Rosch, Eleanor (1991): The Embodied Mind. Cognitive Science and Human Experience.
Bibliografie zum Glossareintrag
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