Diskurs (D)Diskurs ist ein vieldeutiger Schlüsselbegriff zeitgenössischer Theoriebildung, dessen Definition stark abhängig von der jeweiligen wissenschaftlichen Perspektive ist. Nach Foucault sind Diskurse eine Menge von Aussagen, die demselben Formationsgebiet zugehören, wie z.B. der Klinik, der Psychiatrie, der Sexualwissenschaft oder der Ökonomie, und die auf geregelte Weise soziale Gegenstände wie Wahrheit, Realität und Normalität bzw. Wahnsinn, Lüge und Abweichung sowie die ihnen entsprechenden Subjektivitäten produzieren. Diskursive Formationen - als Definitionsmacht zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt - konstruieren ihre Untersuchungsobjekte unter dem Scheinargument der Entdeckung (die Psychoanalyse erfindet das Unbewusste, die Sexualwissenschaften kreieren die Homosexuellen), und sie regulieren, was sagbar ist und was nicht gesagt werden kann (Nünning 2001).
--> Von Bedeutung für die feministische Theorie ist insbesondere Foucaults Reformulierung des Subjekts als Effekt von Diskursen. Foucaults Begriff des Dispositivs als machtstrategische Verknüpfung von Diskursen und Praktiken, Wissen und Macht spielt in der feministischen Rezeption ebenfalls eine große Rolle. Das Sexualitätsdispositiv des 19. und 20. Jahrhunderts umfasst Strategien, die Sexualität allererst produzieren (Hysterisierung des weiblichen Körpers, Sozialisierung des Fortpflanzungsverhaltens, Psychiatrisierung der perversen Lust). Judith Butler argumentiert mit Foucault, dass das Subjekt des Feminismus Produkt derselben Herrschaftsstrukturen ist, die es als patriarchalisch identifiziert und bekämpft.
© Anna Babka (Stand: 6.10.03)
Siehe auch: Sprache (D); Macht (D)
Literaturhinweise Butler, Judith (1989): "Foucault and the Paradox of Bodily Insriptions [kommentiert (D)]". Butler, Judith (1990): Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity [kommentiert (D)]. Foucault, Michel (1983): Sexualität und Wahrheit I: Der Wille zum Wissen [kommentiert (D)]. McNay, Lois (1992): Foucault and Feminism. Power, Gender and the Self [kommentiert (D)]. Salih, Sara (2002): Judith Butler [kommentiert (D)].
Bibliografie zum Glossareintrag
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| System, soziales (ST/RK)Jede soziologische Systemtheorie nimmt ihren Ausgangspunkt in der Frage, wie soziale Ordnung möglich ist. Soziale Systeme entstehen aus der Lösung des Problems der doppelten Kontingenz. Sie transfomieren die Intransparenz psychischer Systeme in soziale Strukturen wechselseitiger Erwartung.
Hejl erklärt die Entstehung sozialer Ordnung durch die These von der "zerebralen Überkapazität". Demnach löst die Entstehung menschlicher Sozialität des Problem, dass menschliche Gehirne eine potenziell unbegrenzte Anzahl von Verhaltensmöglichkeiten eröffnen. Kommunikation "emergiert" entsprechend aus der Interaktion kognitiver Systeme und ermöglicht die Kanalisierung zerebraler bzw. kognitiver Vernetzungsmöglichkeiten. Luhmann geht allgemein davon aus, dass Kommunikation und mit ihr Sozialität unwahrscheinlich ist. Er beschreibt soziale Systeme als autopoietische Systeme, die Kommunikationen als Operationen hervorbringen und regenerieren.
Während die radikalkonstruktivistische Beobachtung sozialer Systeme die Interdependenz bzw. Koevolution von Kognition und Kommunikation betont und die Doppelbeobachtung beider fokussiert, setzt Luhmanns Soziologie auf die strikte Trennung phänomenaler Bereiche. Er definiert Kommunikation in exklusiver Abgrenzung von Bewusstsein und betont damit, dass Gedanken weder in neuronale Prozesse noch in Kommunikationen übersetzbar sind.
Die unterschiedlichen Akzentuierungen der Beobachtung von Kommunikation und Kognition wirken sich auf das Verhältnis von AkteurIn und sozialem System aus. Während Luhmann sich auf die Beschreibung historischer Semantiken konzentriert, verfolgen radikalkonstruktivistische Entwürfe unterscheidungstheoretisch informiert das Projekt einer empirischen Handlungsforschung. Sie beobachten Handlungen und erheben damit die soziale Selbst- und Fremdbeobachtung kognitiver Systeme. Im Rahmen radikalkonstruktivistischer Entwürfe erscheint die intentionale Ebene in der konkreten Selbstbeschreibung von AkteurInnen.
--> Die gendertheoretische Fruchtbarmachung der luhmannschen Systemtheorie operiert einerseits mit der Beobachtung historischer Semantiken, andererseits mit dem akteurszentrieren Konzept des Doing Gender auf der Ebene der Interaktion und ihrer Vermittlung mit dem Theorem funktionaler Differenzierung. Da von Hauptvertretern des Radikalen Konstruktivismus in den Kulturwissenschaften keine Auseinandersetzung mit der Geschlechterdifferenz vorliegt, steht die Konfrontation ihrer Kritik an Luhmanns Soziologie mit der systemtheoretischen Genderforschung noch aus.
© Sibylle Moser & proddiff (Stand: 10.9.2003)
Siehe auch: Kommunikation (ST/RK); Handlung (ST/RK)
Literaturhinweise Hejl, Peter M. (1982): Sozialwissenschaft als Theorie selbstreferentieller Systeme. Hejl, Peter M. (1987): "Konstruktion der sozialen Konstruktion: Grundlinien einer konstruktivistischen Sozialtheorie [kommentiert (ST), kommentiert (RK)]". Luhmann, Niklas (1984): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie [kommentiert (ST)]. Luhmann, Niklas (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft. 2 Bände [kommentiert (ST)]. Pasero, Ursula (1994): "Geschlechterforschung revisited: konstruktivistische und systemtheoretische Perspektiven [kommentiert (ST)]".
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