Struktur (D)Der Begriff Struktur (lat. structura: Bau, Bauwerk, Aufbau, Gefüge) bezeichnet die Menge der Relationen zwischen den Elementen eines Systems. Er ist eng verknüpft mit dem Strukturalismus als einer Analysemethode, die auf den Genfer Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure zurückgeführt wird, obgleich der Terminus selbst vom russischen Linguisten Roman Jakobson geprägt worden ist. Der Strukturalismus versteht Sprache als ein geschlossenes Zeichensystem, d.h. als eine Menge von Elementen, die in geordneten Beziehungen zueinander stehen bzw. nach bestimmten Regeln zu verwenden sind. Er versucht, die Struktur dieses Systems zu erfassen, indem er die wechselseitigen Beziehungen der Elemente - in der Regel als binäre Oppositionen - analysiert, wobei von ihrer (referentiellen) Bedeutung zunächst abgesehen wird. D.h., die Strukturelemente werden nicht als positive Einzelglieder, sondern als Produkte differentieller Effekte betrachtet. In den 60er Jahren avanciert der Strukturalismus - insbesondere in Frankreich - zu der vorherrschenden Methode in den sich neu formierenden "Wissenschaften vom Menschen". Ausgehend von Saussures Cours und über die Vermittlung Jakobsons wird die strukturalistische Analysemethode zuerst von Lévi-Strauss auf die Anthropologie und die Mythenanalyse und von dort auf alle anderen sozialen und kulturellen Phänomene, wie Mode, Alltagspraktiken, Literatur (Barthes), Psychoanalyse (Lacan), Ideologie und Produktionsverhältnisse (Althusser) übertragen.
Der Poststrukturalismus kann u.a. als Versuch beschrieben werden, den klassischen Strukturbegriff zu dezentrieren - einhergehend mit der Dezentrierung des Subjekts. Während in der Vorstellung des abendländischen Denkens jede Struktur ein Zentrum haben muss, das ihr einen festen Ursprung verleiht, und das die Aufgabe hat, die Struktur zu orientieren und das Spiel der Elemente zu ermöglichen und zu begrenzen, ohne selbst Teil dieses Spiels zu sein, bedeutet die Dezentrierung der Struktur die Abwesenheit eines Zentrums in der Form eines transzendentalen Signifikats (Derrida).
--> Der Feminismus kritisiert am Strukturalismus und seinem Strukturbegriff vor allem das Postulat binärer Oppositionen und das Fehlen einer Handlungstheorie. Ein zentraler Kritikpunkt ist darüber hinaus Lévi-Strauss' phallogozentristische Analyse der Verwandtschaftsstrukturen mit Hilfe des Inzesttabus und des sich daraus ergebenden Frauentauschs, durch den die Männer einer Gesellschaft ihre gegenseitigen Beziehungen konstituieren und festigen. Dem setzen feministische TheoretikerInnen ein sehr viel 'fundamentaleres' Tabu, nämlich das der Hom(m)osexualität, entgegen (Irigaray), das wie ein blinder Fleck alle androzentrischen Erklärungsmodelle seit der Antike beherrscht.
© Gerald Posselt (Stand 6.10.03)
Siehe auch: Binarität (D); Zeichen (D); Sprache (D)
Literaturhinweise Butler, Judith (1990): Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity [kommentiert (D)]. Derrida, Jacques (1976): "Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaft vom Menschen [kommentiert (D)]". Irigaray, Luce (1977): Das Geschlecht das nicht eins ist. Rubin, Gayle (1975): "The Traffic in Women: Notes on the 'Political Economy' of Sex". Saussure, Ferdinand de (1967): Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft.
Bibliografie zum Glossareintrag
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| Struktur (ST/RK)Der Strukturbegriff verortet die Systemtheorie in der Tradition des Strukturalismus und grenzt sie gleichzeitig signifikant von diesem ab. Schon Piaget bestimmt Struktur als "System von Transformationen" und markiert damit die wesentliche Einsicht aktueller Systemtheorien, dass Systemelemente und ihre Relationen nicht einfach gegeben sind, sondern im Kontext einer Einheit, die mit einer Umwelt interagiert, definiert werden. Die wechselseitige bzw. relationale Definition von System und Umwelt weist die Elemente von Systemen als temporäre, kontextspezifische Ereignisse aus.
Maturana und Varela führen für die Definition der Einheit des Systems den Begriff der Organisation ein und grenzen ihn von dem der Struktur ab. Systeme werden durch Strukturen verwirklicht, fallen jedoch nicht mit diesen zusammen. So kann dieselbe Organisation durch unterschiedliche Strukturen verwirklicht werden.
Strukturen markieren die erfolgreiche Wiederholung von Selektionsmechanismen und ermöglichen es, Elemente trotz ihrer Flüchtigkeit zu selegieren. In Luhmanns Beobachtung sozialer und psychischer Systeme erscheinen Strukturen demnach als "Erwartungserwartungen", welche kommunikative und kognitive Ereignisse selegieren und ihnen dadurch Sinn zuschreiben. Strukturen identifizieren Operationen als sinnvolle und legen damit ihre Anschlussmöglichkeiten fest. Im Gegensatz zu Ereignissen sind Strukturen lernfähige Ordnungsmuster.
--> Die systemtheoretische Genderforschung fokussiert gesellschaftliche Strukturen, welche Kommunikationen entlang der Geschlechterdifferenz selegieren. So rücken die Erwartungserwartungen ins Blickfeld, welche die Kommunikation und Wahrnehmung von Geschlecht verwirklichen, aber auch solche, welche zur Dethematisierung des Geschlechts führen.
Kritische Gesellschaftstheoretikerinnen wie Knapp monieren, dass der hohe Abstraktionsgrad der Systemtheorie die konkreten Ausprägungen des Geschlechterverhältnisses als Herrschaftsverhältnis nicht hinreichend beobachten können. Die Kombination des Strukturbegriffs mit der Zeitdimension eröffnet der Genderforschung jedoch die Möglichkeit, gesellschaftliche Strukturen als lernfähige zu beobachten und dadurch potenzielle Lernprozesse bzw. gesellschaftlichen Wandel zu beschleunigen.
© Sibylle Moser & proddiff (Stand: 10.9.2003)
Siehe auch: De-Ontologisierung (ST/RK)
Literaturhinweise Knapp, Gudrun-Axeli (2001): "Grundlagenkritik und stille Post. Zur Debatte um einen Bedeutungsverlust der Kategorie 'Geschlecht'". Krüll, Marianne (1990): "Das rekursive Denken im radikalen Konstruktivismus und im Feminismus [kommentiert (RK)]". Krieger, David J. (1996): Einführung in die allgemeine Systemtheorie. Luhmann, Niklas (1984): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie [kommentiert (ST)]. Maturana, Humberto R. / Varela, Francisco (1991): Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens. Piaget, Jean (1971): Structuralism. Piaget, Jean (1971): Structuralism.
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