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DekonstruktionSystemtheorie / Radikaler Konstruktivismus

Lektüre (D)

Lesen ist ein weit gefasster und geläufiger Begriff innerhalb kulturtheoretischer, besonders poststrukturalistischer und dekonstruktiver Reflexionen, der die Leitbegriffe Interpretation, Text- und Diskursanalyse ergänzt und teilweise ersetzt. Textinterpretation wird nicht länger als eine wertfreie und objektive Entzifferung verborgener ursprünglicher Bedeutungen aufgefasst, sondern mit Nietzsche als ein Prozess der aktiven Aneignung und Umwertung, der nicht außerhalb von Machtverhältnissen zu denken ist. In der poststrukturalistischen Diskussion wird über den Gedanken der Unabschließbarkeit der im Lektürevorgang erzeugten Deutungen die Vorstellung vom 'offenen' Text etabliert. Bei Paul de Man, Hillis Miller u.a. werden literarische Texte zum Gegenstand kreativer Fehllektüren (misreadings), bzw. Texte sind bei diesen Theoretikern gleichsam 'Allegorien des Lesens', die die Widersprüche der Sprache und ihre aporetische, logisch nicht auflösbare Struktur anzeigen und mobilisieren. Paul de Man bestimmt darüber hinaus das Lesen und Verstehen von literarischen Texten als autobiographische Zuschreibung an ein Subjekt, und er reflektiert anhand der Selbstkonstituierung die Rolle des Subjekts in Lektüre und Text.

--> Dekonstruktive Ansätze fokussieren sprachlich-diskursive Formationen mit Blick auf die Repräsentationen, Konstruktionen und Praktiken von Geschlechterdifferenz. Die Opposition männlich/weiblich und die ihr anscheinend zu Grunde liegenden sicheren Identitäten der Geschlechter werden als Effekte von Differenzen erkennbar, d.h. lesbar als Wechselspiel von figurativer Konstruktion und De-figuration. Die zweiwertige Logik der Oppositionsbildung muss gelesen, d.h. exponiert werden. Sie zu lesen heißt, sie zu subvertieren. Dekonstruktion 'operiert' als ein Wi(e)derlesen im doppelten Sinne des Erneut- und Gegenlesens der Konstruktionen (Menke). Die Metaphorisierung und Textualisierung von Geschlechterdifferenz ist die Grundlage für Derridas Diktum, dass es die Geschlechtsdifferenz nicht gibt, sondern dass sie nur als Figur existiert, als Lesefigur und als Resultat des Lesens der Geschlechtsdifferenz.

© Anna Babka (Stand: 6.10.03)

Siehe auch: Text (D); Referenz (D); Kontext (D); Zeichen (D); Sprache (D)

Literaturhinweise
•  Butler, Judith (1993): "Für ein sorgfältiges Lesen [kommentiert (D)]".
•  Derrida, Jacques (1988): "Die différance [kommentiert (D)]".
•  Felman, Shoshana (1992): "Weiblichkeit wiederlesen [kommentiert (D)]".
•  Menke, Bettine (1995): "Dekonstruktion der Geschlechteropposition – das Denken der Geschlechterdifferenz. Derrida [kommentiert (D)]".
•  Menke, Bettine (1995): "Dekonstruktion. Lesen, Schrift, Figur, Performanz".

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