Alterität (D)Der Begriff der Alterität (lat. alter: der eine, der andere von beiden) ist ein philosophiegeschichtlich bedeutender Begriff und verweist innerhalb poststrukturalistischer Theorien (z.B. Psychoanalyse, Dekonstruktion oder Postcolonial Studies) auf die Dichotomie von Alterität und Identität als einander bedingende Momente. Alter ist kein beliebiger Anderer, alter ist der zweite von zwei gleichartigen und einander zugeordneten Identitäten im Gegensatz zu alius oder xenos (dt. der Fremde).
Identitäten werden durch Abgrenzung und Ausgrenzung hergestellt. Das 'konstitutive Außen' (Derrida, Butler) ist nicht nur Bedingung der Möglichkeit von Identität, sondern zugleich immer Teil derselben. Zentrum und Rand sind intrinsisch miteinander verwoben. Soll Andersheit gedacht werden, dann bedeutet der Begriff nicht, dem Selbstidentischen dessen komplementäres Gegenteil entgegenzusetzen, sondern das angeblich Mit-sich-selbst-Identische in seiner Angewiesenheit auf und Kontaminierung durch sein vermeintlich Anderes zu lesen.
In Edward Saids Studie Orientalism fungiert der Begriff des Anderen als Beschreibungskategorie des Orientalischen, das als das irrationale Andere dem rationalen Selbst europäischer Identität gegenübergestellt wird. Durch den Prozess des othering, durch den dem Anderen vor der Folie des "weißen, männlichen, heterosexuellen" Subjekts jede Identität abgesprochen wird, wird, so Saids Analyse und Kritik, die europäische Identität erst erzeugt und bestätigt.
--> Von Simone de Beauvoirs Studie "Le deuxième sexe" (dt. "Das andere Geschlecht") ausgehend, in der sie verschiedenen Diskursen nachgeht, in denen die Frau als 'das Andere des Mannes' konstruiert wird, besetzt der französische Feminismus den Terminus positiv. Dem so genannten 'anderen Geschlecht' kommt ein kreatives Potential hinsichtlich der Subversion patriarchaler Strukturen und Diskurse zu, das in Konzepten wie écriture féminine (Cixous) oder parler femme (Irigaray) erprobt wird. Die Kritik an den Strategien der Französinnen wird als Vorwurf der Reproduktion und Wiedereinsetzung von geschlechterspezifischen und patriarchalen Stereotypen (Moi) formuliert. Im dekonstruktiven Feminismus, wie bei Gayatri Spivak, geht es letztendlich darum, die Geschlechterdifferenz bzw. Differenzen überhaupt 'within' und nicht 'between' zu denken. Innerhalb und nicht dazwischen ist die radikale Alterität angesiedelt.
© Anna Babka & proddiff (Stand: 6.10.03)
Siehe auch: Identität (D); Subjekt (D); Performativität (D); Différance (D); Hybridität (D); Essentialismuskritik (D); Subversion (D)
Literaturhinweise Lacan, Jacques (1991): "Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion wie sie uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint [kommentiert (D)]". Said, Edward W. (1978): Orientalism. Trinh, Minh-ha T. (1989): Women. Native. Other. Writing Postcoloniality and Feminism [kommentiert (D)].
Bibliografie zum Glossareintrag
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