Interpellation (D)Der Terminus Interpellation (lat. "Unterbrechung im Reden") bezeichnet im Französischen sowohl die parlamentarische Anfrage als auch die vorübergehende polizeiliche Festnahme. Als ein philosophischer Begriff wird er vom französischen, marxistischen Philosophen Louis Althusser (1918-1990) Ende der 60er Jahre in seinem Essay "Ideologie und ideologische Staatsapparate" eingeführt, um den Prozess zu bezeichnen, durch den die Ideologie das Individuum als Subjekt anruft und konstituiert. Althusser vergleicht dieses Verfahren mit dem Ruf des Polizisten "He, Sie da!". Indem das Individuum sich umwendet, erkennt es an, dass der Anruf genau ihm galt, und nimmt die ihm von der Ideologie zugewiesene Subjektposition an. Das Individuum, das sich so in seine Unterwerfung fügt, wird zum Subjekt, indem es die ihm zugewiesene gesellschaftliche Position (in den Parametern von Klasse, Gender und Rasse) als seine eigene (v)erkennt.
--> Judith Butler nimmt den Begriff der Interpellation auf, um jene Akte der Benennung zu beschreiben, in und durch die einem menschlichen Individuum ein Geschlecht verliehen und zugeschrieben wird (z.B. der konstativ-performative Ausruf der Hebamme "Es ist ein Mädchen!"). Während jedoch bei Althusser diese Anrufung die Form eines göttlichen Performativums annimmt, das in einem einmaligen Akt das vollständig konstituiert, was es benennt, und folglich keine Möglichkeiten des Widerstands und der Reartikulationen offen lässt, argumentiert Butler, dass jedem Performativum kraft seiner Iterabilität sein eigenes Scheitern notwendig inhärent ist. Die Interpellation ist ein Äußerung, die nur insofern wirksam wird, als sie selbst eine zitathafte Kette von sedimentierten Bedeutungen und Konventionen anruft. Zugleich hat die Anrufung des Gesetzes (verkörpert in der Figur des Polizisten), durch die das Individuum Subjektstatus innerhalb des Diskurses erlangt, nicht nur verletzende, sondern auch befähigende Effekte. Das Ich, das durch die Anrufung hervorgebracht wird, erlangt sein Handlungsvermögen gerade durch seine Einbezogenheit in die Machtbeziehungen, die es bekämpft.
© Gerald Posselt (Stand 6.10.03)
Siehe auch: Subjekt (D); Handlungsfähigkeit (D); Sprache (D); Iterabilität (D); Performativität (D)
Literaturhinweise Althusser, Louis (1977): "Ideologie und ideologische Staatsapparate (Anmerkungen für eine Untersuchung) [kommentiert (D)]". Butler, Judith (1993): Bodies that Matter. On the Discursive Limits of "Sex" [kommentiert (D)]. Butler, Judith (1997): Excitable Speech. A Politics of the Performative [kommentiert (D)].
Bibliografie zum Glossareintrag
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| Inklusion/Exklusion (ST)Die Unterscheidung von Inklusion/Exklusion ist im Rahmen der luhmannschen Soziologie eng mit den Attributionsleistungen verknüpft, die es erlauben, Kommunikationen einer sozialen Adresse bzw. der "Form Person" zuzuschreiben. Inklusionen beschäftigen sich mit der Art und Weise, in der soziale AkteurInnen Personenstatus erhalten. Die Adressierung als Person variiert mit der Form gesellschaftlicher Differenzierung. Während in segmentierten Gesellschaften die Inklusion als Zuordnung zu einem Segment erfolgt, stellt sich der Einschluss unter den Bedingungen funktionaler Differenzierung komplexer dar. Moderne Gesellschaften schließen alle Mitglieder zugleich ein und aus. Die Semantik der Gleichheit erlaubt es einerseits, soziale Funktionen jenseits segmentärer Differenzierungen wahrzunehmen, andererseits kann niemand an allen Funktionssystemen gleichzeitig teilnehmen.
Es lassen sich eine Fülle von Exklusionen beobachten, die aus der selektiven Definition von Zugangskriterien zu spezifischen Kommunikationen resultieren. Der Ausschluss aus einem Funktionssystem geht nicht notwendig mit dem Einschluss in ein anderes einher. Je weniger Kommunikationszusammenhänge zugänglich sind, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit eines gesellschaftlichen Ausschlusses. Die Selbstbeschreibung der modernen Gesellschaft, die sich an der Semantik der Gleichheit orientiert, entspricht deshalb nicht ihren Strukturen, denen es häufig an Integrationsfähigkeit fehlt.
--> Die Semantik der Ungleichheit der Geschlechter, die im Rahmen der funktionalen Differenzierung im 18. Jahrhundert formuliert wurde, organisierte wesentlich die Exklusion von Frauen aus allen öffentlichen Funktionssystemen. Diese Schieflage der Moderne wird durch die Reflexion der Geschlechterdifferenzierung im Rahmen feministischer Kommunikationen im 20. Jahrhundert sukzessive kompensiert. Frauen werden zusehends zu Bildung, Wissenschaft, Wirtschaft etc. zugelassen, nach wie vor jedoch aber aus höheren Positionen in den jeweiligen Funktionssystemen ausgeschlossen.
Die systemtheoretische Geschlechterforschung fragt deshalb, inwiefern dieser Ausschluss entlang der sekundären Differenzierung der Geschlechtertypisierung dysfunktional ist. Im Rahmen der feministischen Theorie wird zudem deutlich, dass die Dynamik von Inklusion und Exklusion im Wechselspiel vielfältiger Semantiken der Ungleichheit, wie etwa der Regelung des Zugangs zu kommunikativen Ressourcen nach ethnischer Zugehörigkeit, sexueller Orientierung und Bildung erfolgt. So hängt auch die Überwindung von Geschlechtsstereotypisierungen von den symbolischen und materiellen "Darstellungsressourcen" (Villa) der Beteiligten ab.
© Sibylle Moser & proddiff (Stand: 10.9.2003)
Siehe auch: Differenzierung, funktionale (ST); Handlung (ST/RK)
Literaturhinweise Beck, Ulrich / Sopp, Peter (Hg.) (1997): Individualisierung und Integration. Neue Konfliktlinien und neuer Ingrationsmodus?. Fuchs, Peter (1997): "Adressabilität als Grundbegriff der soziologischen Systemtheorie". Heintz, Bettina (2001): "Geschlecht als (Un-)Ordnungsprinzip. Entwicklungen und Perspektiven der Geschlechtersoziologie [kommentiert (ST)]". Pasero, Ursula (1994): "Geschlechterforschung revisited: konstruktivistische und systemtheoretische Perspektiven [kommentiert (ST)]". Villa, Paula-Irene (2000): Sexy Bodies. Eine soziologische Reise durch den Geschlechtskörper.
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