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DekonstruktionSystemtheorie / Radikaler Konstruktivismus



Siehe auch: Subjekt (D); Materialität (D)

Bewusstsein (ST/RK)

Der Begriff des Bewusstseins ist philosophiegeschichtlich stark überfrachtet, er wurde in Differenz zum Sein entwickelt und erscheint mit dem Subjektbegriff konfundiert als reflexives Erkenntniszentrum bzw. als 'Geist'. Im kognitionswissenschaftlichen Diskurs korrespondiert der Bewusstseinsbegriff mit dem Leib-Seele-Problem bzw. dem Verhältnis von Körper (body) und Geist (mind).

Bis heute gibt es keinen wissenschaftlichen Konsens darüber, was Bewusstsein ist bzw. wie es funktioniert. Entsprechend variieren auch die Bestimmungen im Diskurs des Radikalen Konstruktivismus. Roth bestimmt Bewusstsein als Form des Erlebens, über die sprachlich berichtet werden kann. Er geht davon aus, dass Bewusstsein immer dann auftritt, wenn das Gehirn mit neuartigen Erfahrungen konfrontiert ist, die nicht routinemäßig eingeordnet werden können.

Maturana und Varela bestimmen Bewusstsein als Möglichkeit, sprachliche Beschreibungen von sprachlichen Beschreibungen kommunikativer Orientierungsinteraktionen anzufertigen. Eine BeobachterIn kann mit ihren eigenen sprachlichen Unterscheidungen interagieren und diese wiederum sprachlich unterscheiden; sie verwirklicht damit eine Hierarchie rekursiv verknüpfter Kopplungen mit ihrem Medium, die im Beobachtungsbereich objektiviert wird und als Selbstbewusstsein erscheint. Die Unterscheidung von Selbstbewusstsein führt zur Entwicklung von Handlungsfreiheit und Verantwortung.

Systemtheoretische Konzeptionen betonen die Differenz von Bewusstsein als transitorischem Prozess und Gedanken als temporäre Resultate dieses Prozesses. Luhmann bestimmt Bewusstsein als autopoietisches System, das Gedanken durch Gedanken reproduziert und dadurch Sinn bzw. Differenzen prozessiert. Er betont, dass Bewusstsein nicht in Kommunikation übersetzbar ist, diese jedoch als notwendige Umwelt irritiert. Die prozessorientierte Bestimmung verweist auf die Uneinholbarkeit der Selbstpräsenz des Bewusstseins für das Bewusstsein und ist zentral für die soziologische Systemtheorie.

--> In der Geschlechterforschung ist der Bewusstseinsbegriff mit der Naturalisierung und Ontologisierung der Geschlechterdifferenz in der Geschichte der abendländischen Philosophie verknüpft. Seit der Antike wird darüber spekuliert, ob Frauen Geist haben, oder ob sie nur die Materie sind, der sich der männliche Verstand einprägen kann. Die Unterscheidung von Körper und Geist ist demnach intrinsisch mit der Semantik natürlicher Ungleichheit verknüpft, die zur Prozessierung der Geschlechterdifferenz seit der Aufklärung eingesetzt wird und die mit der modernen Semantik der Gleichheit konkurriert. Aus differenztheoretischer Perspektive ist das Bewusstsein nicht geschlechtstypisch markierbar, da es eine Einheit von Differenzen darstellt. Es lässt sich aber der eine oder andere Gedanke über Geschlechtsdifferenzen fassen und als gendertheoretische Kommunikation in Umlauf bringen.

© Sibylle Moser & proddiff (Stand: 10.9.2003)

Siehe auch: Beobachtung (ST/RK); Subjekt (ST/RK); Kognition (ST/RK); Selbst-/Fremdreferenz (ST); De-Ontologisierung (ST/RK)

Literaturhinweise
•  Butler, Judith (1993): Bodies that Matter. On the Discursive Limits of "Sex" [kommentiert (D)].
•  Hassauer, Friederike (1994): Homo. Academica. Geschlechterkontrakte, Institution und die Verteilung des Wissens.
•  Kurthen, Martin (1990): Das Problem des Bewußtseins in der Kognitionswissenschaft. Perspektiven einer "Kognitiven Neurowissenschaft".
•  Luhmann, Niklas (1987): "Die Autopoiesis des Bewußtseins".
•  Maturana, Humberto R. / Varela, Francisco (1991): Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens.
•  Roth, Gerhard (1997): Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Kognitive Neurobiologie und ihre philosophischen Konsequenzen.

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