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DekonstruktionSystemtheorie / Radikaler Konstruktivismus

Konstruktion (D)

Konstruktivität wird in der Folge poststrukturalistischer und konstruktivistischer Theoriebildung als Eigenschaft jeder Wahrnehmung und Erkenntnis betrachtet, die im Gegensatz zur realistischen Vorstellung einer ontischen äußeren Wirklichkeit abhängig von Begriffssystemen und Konventionen sind (Nünning 2001). Die Dekonstruktion spezifiziert und radikalisiert den Gedanken der Konstruktivität im Sinne einer doppelten Denkbewegung, nämlich der radikalen Auffaltung metaphysischer Begriffsgerüste und dem gleichzeitigen Bewusstsein, der überlieferten Sprache notwendig verhaftet zu sein. In der Diskursanalyse Foucaults zielt der Gedanke der Konstruktivität auf die gesellschaftliche Produktion von Wissen durch Ausschließungs- oder Verknappungsprozeduren.

--> Gegen die Annahme natürlicher Geschlechterkategorien betonen dekonstruktive TheoretikerInnen die diskursive und performative 'Hervorbringung' von (Geschlechts-) Identitäten. Naturalisierende bzw. ontologisierende Konzepte von Geschlecht werden dekonstruiert: was nicht 'natürlich' ist (sondern allenfalls so scheint) ist (aufgrund unterschiedlicher Faktoren) konstruiert, also gemacht, und daher prinzipiell kontingent, wenn auch keineswegs beliebig. Dekonstruktion heißt für die Ordnung der Geschlechter zunächst das Modell der Konstruktion zu exponieren, also Herstellungsprozesse zu re-konstruieren und sichtbar zu machen (Menke). Damit betont die dekonstruktive Intervention zugleich auch die Gestaltbarkeit von Konstruktionsprozessen in Wissenschaft und Alltagsverhältnissen.

Das missverständlich gebrauchte Label "radikaler Konstruktivismus" im Zusammenhang mit Judith Butler bezieht sich auf den gegen sie erhobenen Vorwurf, sie vertrete eine Position, die darauf hinausliefe, dass alles Sprache und Diskurs sei und dass alles, einschließlich (der Materialität) des Körpers, sprachlich und diskursiv konstruiert sei. Dagegen ist einzuwenden, dass Konstruktivität im Zusammenhang mit der Konstitution von Geschlechtsidentität sowie sexuell markierten und signifizierten Körpern nicht als ein einmaliger, unilateraler, von einem einzelnen Agenten (dem Subjekt, der Macht) verursachter Akt zu verstehen ist, sondern als ein reiterativer und resignifikativer Prozess der De- und der Rekonstruktion.

© Anna Babka (Stand: 6.10.03)

Siehe auch: Dekonstruktion (D); Diskurs (D); Sprache (D); Essentialismuskritik (D); Körper (D); Materialität (D)

Literaturhinweise
•  Butler, Judith (1993): Bodies that Matter. On the Discursive Limits of "Sex" [kommentiert (D)].
•  Menke, Bettine (1995): "Dekonstruktion der Geschlechteropposition – das Denken der Geschlechterdifferenz. Derrida [kommentiert (D)]".
•  Vasterling, Veronica (1999): "Butler's Sophisticated Constructivism: A Critical Assessment [kommentiert (D)]".

Bibliografie zum Glossareintrag

Konstruktion (ST/RK)

Der Begriff der Konstruktion bündelt im Diskurs des Radikalen Konstruktivismus im Wesentlichen Eigenschaften, die sich aus dem Theorem der operationalen Geschlossenheit kognitiver Systeme ergeben, wie etwa die Rekursivität, Selbstreferenz und die prozessuale Entwicklung von Strukturen. Häufig wird der Begriff von KritikerInnen missverständlich als bewusste Herstellung eines Objekts interpretiert; in dieser Bedeutung macht er jedoch nur im Rahmen praktischer Wissensanwendungen bzw. im Hinblick auf Technologien, die auf empirischen Theorien basieren, Sinn.

In seiner allgemeinen Bedeutung kennzeichnet der Begriff der Konstruktion das kreative bzw. generative Potenzial struktureller Interdependenzen auf den Ebenen von Kognition, Kommunikation, Medien und Kultur. Die luhmannsche Systemtheorie betont hier vor allem die Unübersetzbarkeit bzw. das nichtreduktionistische Verhältnis von Körper, Psyche und sozialem System. Radikalkonstruktivistische Beobachtungen fokussieren eher auf die wechselseitige Ermöglichung bzw. die Ko-Evolution unterschiedlicher Beobachtungsbereiche.

--> Viele Theoriebildungen, die von der Konstruktion des Geschlechts ausgehen, thematisieren selbstorganisierte Dynamiken geschlechtstypisierter Strukturbildungen bzw. Bedeutungsentstehung. Geschlechterdifferenzen resultieren aus der rekursiven Wiederholung von interdependenten Unterscheidungen im kognitiven und im soziokulturellen bzw. gesellschaftlichen Bereich. Geschlechterdifferenzen haben deshalb ein wirklichkeitsgenerierendes Potenzial, das aus dem Zusammenspiel von komplexen Unterscheidungen auf den Ebenen von Körper, Psyche und sozialer Organisation hervorgeht bzw. 'emergiert'.

© Sibylle Moser & proddiff (Stand: 08.12.2003)

Siehe auch: Beobachtung (ST/RK); Rekursion (RK); Selbst-/Fremdreferenz (ST)

Literaturhinweise
•  Kieserling, André (1995): "Konstruktion als interdisziplinärer Begriff. Zum Theorieprogramm der Geschlechterforschung [kommentiert (ST)]".
•  Moser, Sibylle (2001): Komplexe Konstruktionen. Systemtheorie, Konstruktivismus und empirische Literaturwissenschaft.
•  Ros, Arno (1994): ""Konstruktion" und "Wirklichkeit". Bemerkungen zu den erkenntnistheoretischen Grundannahmen des Radikalen Konstruktivimus".
•  Waniek, Eva / Stoller, Silvia (Hg.) (2001): Verhandlungen des Geschlechts. Zur Konstruktivismusdebatte in der Gender-Theorie.

Bibliografie zum Glossareintrag




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